Berufsorientierung vs. Berufung

Wenn ich an meine Zeit der Berufsorientierung denke, wird mir heute noch übel. Ich wusste einfach nicht, was ich machen wollte. Und von allen Seiten wurde auf mich eingeredet: „Mach doch dies oder wie wäre es damit?…“. 🤯
Ich weiß, es war gut gemeint, aber auch von der Sorge (der Eltern) getragen, dass man einen sicheren Job braucht, in dem man bis zur Pension gut aufgehoben ist.

Ich wollte aber eigentlich nicht länger in die Schule gehen, 9 Jahre sollten reichen. Um endlich Ruhe von den ewigen Diskussionen zu haben, ließ mich dann dazu überreden, die Handelsschule zu besuchen. Als wir beim Einschreiben in der Schule waren und eigentlich schon alles fixiert und wir beim Verabschieden waren, fragte die Sekretärin noch nach meinem Zeugnis. Als sie meine guten Noten sah, meinte sie, das käme ja gar nicht in Frage, dass ich „nur“ die Handelsschule mache, ich muss in die HAK. Und so wurde ich kurzerhand für 5 Jahre „verpflichtet“.

Anfangs plagte ich mich in den kaufmännischen Fächern. Aber ich liebte den Französischunterricht. Und als wir ab der 4. Klasse Geschäftsbriefe zu schreiben hatten, entwickelte ich einen enormen Ehrgeiz: während meine Kollegen die Briefe bloß mit der Hand schrieben, tippte ich sie auf der Maschine (für alle Jüngeren: Schreibmaschinen waren ähnlich Computertastaturen, aber ohne Bildschirm, man tippte direkt auf das Papier und man konnte keine Fehler korrigieren!). Und als i-Tüpfelchen zeichnete ich Briefköpfe mit Feder und Tusche und entwarf auch eigene Logos!

Auch mein Formelheft in Mathematik war ein echter Hingucker, ich hatte als einzige alle geoemetrischen Figruen mit Tusche gezeichnet. Zum Leidwesen der anderen Schüler wollte die Professorin mein Formelheft als Referenz, und so musste ich es ihr nach der Matura überlassen. 😅

Ein kleine Auswahl der mit Tusche gezeichneten Briefköpfe

Jobsuche

Nach der Matura war ich wieder orientierungslos. Ich wusste nur, dass ich weder studieren noch Sekretärin werden wollte. Da ich den EDV-Unterricht sehr interessant gefunden hatte und Computer damals noch sehr exotisch und aufregend waren, schrieb ich in meine Bewerbungen, „dass ich gerne mit Computern arbeiten würde“.

Durch Beziehungen eines Onkels wurde ich dann im Bundesrechenamt angestellt und wusste bis zum Tag des Dienstantritts nicht, was ich dort tatsächlich arbeiten würde! Immerhin hatte ich soviel Glück, dass ich in die Softwareentwicklung kam und nicht ins Sekretariat, und ich musste auch keine Rechen verkaufen. 😅

Ich muss zugeben, dass die EDV-Branche bis Mitte der 1990er Jahre sehr attraktiv war, weil man enorm viel verdienen konnte und Programmierer hoch angesehen waren. Mit dem Einzug der PCs in die Haushalte änderte sich das aber, und heute programmieren bereits Kinder Apps.

Erkenntnis

Wenn ich heute an meine Kindheit zurück denke, war eigentlich immer klar, dass ich einen grafischen Beruf erlernen hätte sollen. Nicht nur, dass ich immer gerne zeichnete und malte, ich liebte es auch, Layouts zu machen, meine Hefte schön zu gestalten. So habe ich z.B. schon in der Hauptschule meine Schallplatten und Musikkassetten (für die Jungen: MP3-Player mit Tonbandspulen) in schön strukturierten Verzeichnissen verwaltet.

Leider mussten ein paar Jahrzehnte vergehen, bis ich mir selbst die Erlaubnis gab, meine Berufung zu leben. Der „sichere Job“ hat mich ziemlich viel Lebendigkeit und auch Gesundheit gekostet.

Was ich damit sagen will

Geht immer der Freude und eurer Leidenschaft nach und lasst euch nicht von anderen Menschen sagen, wie ihr euer Leben zu gestalten habt. Auch wenn sie es gut meinen: sie sprechen aus ihrer Sicht. Niemand außer du selbst musst deinen Weg gehen und dein Leben leben.

Schaut, wo die Talente eurer Kinder liegen, fördert und unterstützt sie darin. Stülpt ihnen nicht eure Ängste oder Erfahrungen über.

Und heutzutage gibt es Möglichkeiten, Geld zu verdienen, die noch vor wenigen Jahren völlig utopisch waren. Danke an all die „Spinner“ und „schwarzen Schafe“, die ihren Träumen folgen und so neue Wege aufzeigen! 💝